September

Liebe Krankheit, kann ich mich entfesseln?

Hier findest du die Audiobeschreibung zum Bild:

 

Wie wir uns Entfesseln

Viel geschrieben und mit euch geteilt, haben wir in den letzten Monaten. 
 
Zum Beispiel zu Leistungsdruck und chronischen Erkrankungen. Übers Kämpfen und Vorbilder finden innerhalb der eigenen Biografie. Übers Trauern und Füreinander Da Sein in schweren Phasen. Zuletzt auch über unsere psychische Gesundheit. 
 
Immer wieder haben wir dabei versucht den Bogen zu schlagen, was diese Themen für uns bedeuten. Als queere Menschen, aber auch als chronisch-kranke, neurodivergente oder behinderte Menschen.
 
Egal in welcher Form uns unsere Identitäten, unsere Erkrankungen und Behinderungen durch die Welt begleiten – wir fragen uns immer wieder:
    
Wie können wir uns entfesseln?
 
Oft ist das eine Frage nach dem, was veränderbar ist.
Manchmal trägt uns liebevolle Unterstützung ein Stück weiter. Manchmal helfen uns Sichtbar-Machen und Vernetzung oder Aktivismus. Damit wir uns selbst anders annehmen oder Kraft tanken können. Oder um uns ein stückweit aus den Fängen der gesellschaftlichen Unterdrückung zu befreien.
 
Es gibt aber auch Teile unserer Erfahrungen, denen wir mit aller Kraft und Hoffnung nicht entkommen können. Dann entwickelt die Frage für uns auch noch mal anders Schwere:
 
Können wir uns überhaupt entfesseln?
 
Gibt es nie Erholung oder Pausen von alledem? Muss Schmerz immer mit dabei sein? Schaffen wir es, auch das Unumgängliche zu akzeptieren?

Beide Seiten dieser Frage dürfen uns begleiten.

 

🫧 Ein Gedicht übers Entfesseln 🫧

mehr

Eine Person aus unserer Bubble hat zum Motiv ein Gedicht geschrieben.

Hier hört ihr das Gedicht als Audio:

Dasselbe Gedicht nun nochmal als Bilddarstellung. A4 Format, schwarze Schrift auf weißem Papier. Chromfarben mit holografischen Reflektionen in Regenbogenfarben.

🫧 Weltweit und gemeinsam Entfesseln 🫧

mehr

Wir wollen euch an dieser Stelle noch kurz die Gruppe “Sins Invalid” vorstellen. Denn sie haben etwas mit uns gemeinsam: Sie sind eine künstlerische, kreative Gruppe. Und sie beschäftigen sich auch mit queeren und behinderten Menschen und ihren Themen.

Sie haben sich 2005 in San Francisco in den USA gegründet. Sie machen Performances. Und sie ogranisieren queere und behinderte Community und Menschen der globalen Mehrheit (also Menschen mit afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer, indigener oder gemischter kultureller Zugehörigkeit).

Die Gruppe hat die “10 Regeln der Gerechtigkeits-Bewegung für Behinderte” veröffentlicht.

Wir finden diese Grundsätze auch wichtig. Und möchten sie deswegen gern mit euch teilen und weiter verbreiten. Wir haben die Regeln auf deutsch und in leichtere Sprache frei übersetzt. Auf der Website gibt es die Regeln auch übersetzt in amerikanische Gebärdensprache.

10 REGELN DER “Gerechtigkeits-Bewegung für Behinderte”

 

🫧 1 Verschiedene Unterdrückung wirkt zusammen (Intersektionalität)
„Wir leben unsere Leben mit vielen Themen“ – nach Audre Lorde. 
Es gibt Behinderten-Feindlichkeit. Es gibt die Herrschaft weißer Menschen. Es gibt eine Gesellschaft der Leistung und Ausbeutung (Kapitalismus). Es gibt Herrschaft durch Männlichkeit und Hetero-Liebe. Alle diese Formen von Unterdrückung zusammen machen sehr viele Menschen auf der Welt zu „Invaliden“ (behinderte oder ungültige Menschen).

🫧 2 Die am stärksten Betroffenen sollen führen
“Sie sollen führen, weil sie unser System am besten kennen.“ – nach Aurora Levins Morales.
 
🫧 3 Wir machen Politik gegen eine Gesellschaft aus Leistung und Ausbeutung (Kapitalimus)
Unsere Körper und Gedanken sind anders als der Wunsch der “gesunden” Gesellschaft. Deswegen sind wir ganz natürlich gegen diese Gesellschaft der Ausbeutung.
 
🫧 4 Wir organisieren uns mit anderen Bewegungen gemeinsam
Wir verstehen Behinderung und “Gerechtigkeits-Bewegung für Behinderte” neu. Wir bringen dadurch vielen Sozialen Bewegungen bei, wie man gut zusammenarbeiten kann.
 
🫧 5 Wir erkennen das Ganz-Sein
Jeder Mensch ist voller Geschichten und Lebenserfahrung. Mensch-Sein ist mehr als Produktiv-Sein oder Fähigkeiten-Haben.
 
🫧 6 Wir wollen lange Kraft und Erfolg haben
Wir speichern alle unsere Erfahrungen in unseren Körpern ab. Mit unseren Körpern kämpfen wir für Gerechtigkeit und Befreiung. Egal ob einzeln oder zusammen. Wir gehen alle in unserer eigenen Geschwindigkeit.
 
🫧 7 Wir unterstützen Menschen mit anderen Behinderungen
Alle behinderten Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen. Unsere Gemeinschaft schätzt alle Erfahrungen gleich. Wir schließen niemanden aus. Nur so können wir alle befreien.
 
🫧 8 Wir brauchen unsere gegenseitige Unterstützung
Der Staat hat oft Kontrolle über unser Leben. Aber der Staat hilft uns oft nicht. Deswegen müssen wir uns auf dem Weg gegenseitig helfen.
 
🫧 9 Gemeinsam kreativ sein
Wir sind zum Beispiel schwarze oder queere Menschen mit Behinderung. Wir haben andere Eigenschaften als gesunde Menschen. Wir kennen deswegen oft kreative Möglichkeiten für das gemeinsame Leben.
 
🫧 10 Befreiung für alle
Wir lassen keinen Menschen zurück. Nur alle zusammen können wir die Welt verändern und gerechter machen.
 

 

🫧 Film -Tipp 🫧

mehr

DIE ZÄRTLICHE REVOLUTION  von Annelie Boroș


Ein Film über Pflege, Fürsorge und Inklusion. Eine Empfehlung, die bereits im Mai gut zum Thema FüreinanderDaSein gepasst hätte – Ein Film, den man aus vielen Blickwinkeln schauen kann und der sich deswegen genauso gut in unserer Frage nach dem Entfesselns wiederfindet.

In der Doku begleitet Annelie Boroș Menschen, die Fürsorge zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Freiwillig oder unfreiwillig? Landen sie durch die kapitalistische Gesellschaft alle in Rollen, aus denen ein Entkommen schwer möglich ist. 

Arnold und sein Sohn teilen eine Pflegebeziehung. Sie kämpfen für die Sichtbarkeit und Anerkennung pflegender Angehöriger.
Bożena, eine 24-Stunden-Kraft aus Polen, zerbricht an Pflegebelastungen und organisiert sich mit anderen, um der Ausbeutung in der Pflegebranche zu entkommen.
Der Aktivist Samuel und seine assistenzgebenden Freund*innen ringen um Grenzen in der Vermischung von Freund*innenschaft und Lohnarbeit. Und wünschen sich mit einem inklusiven Wohnprojekt, über soziale Grenzen hinauszuwachsen. 
Amanda ist Klimaaktivistin mit Wurzeln in Peru. Sie erlebt seit ihrer Kindheit, wie eine von Menschen zerstörte Natur, auch Körper und Gesundheit auffrisst. Amanda weiß: Nur in fürsorglicher Verbindung können Menschen und Natur ein gutes Leben finden.

Annelie und ihre Freund*innen selbst erleben einen schweren Verlust und suchen nach Antworten. Hätte eine fürsorglichere Gesellschaft, das tragische Ende ihrer Freund*innenschaft verhindern können?

Die Doku verbindet einfühlsam die Schwere und Belastungen im Leben der Protagonist*innen mit deren Kämpfen um Befreiung und Entfesselung. Sie schlängelt sich durch. Entlang der Grenzen zwischen Nicht-Entkommen-Können und einer Utopie von Fürsorge in einer liebevolleren Gesellschaft.

Die Zärtliche Revolution läuft seit dem 14.08. in deutschen Kinos. Hier findet ihr noch ein paar Gelegenheiten, den Film zu schauen. Falls der Film nicht (mehr) in eurer Nähe gezeigt wird, könnt ihr auch selbst in einem Kino eurer Wahl auf den Film aufmerksam machen. Oder ihr fragt direkt bei den Filmemacher*innen nach (filmbuchung@wfilm.de). Vielleicht lässt sich so noch eine weitere Vorstellung organisieren? Und das Träumen und Aufbauen einer Fürsorge-Gesellschaft statt einer Leistungs-Gesellschaft weitergehen.